Reiner R. Schmidt

1. Vorsitzender des Neuen Kunstvereins Regensburg

Vielleicht hängt es mit den fließenden Wassern zusammen, die seinen Geburtsort umschließen, dass er in Regensburg bleiben konnte. Reiner R. Schmidt, im April 1950 zwischen den Donauarmen auf der Wöhrd geboren, ist in seiner Heimatstadt fest verwurzelt. Abgesehen von einem zehnjährigen Intermezzo in frühen Jahren in Mülheim an der Ruhr. Seitdem weiß er, Regensburg ist seine Passion, was ihn nicht daran hindert, ständig in Bewegung zu sein. Wenn sich Aufregendes in der europäischen Kunstszene ereignet, ist Reiner R. Schmidt dabei. Er weiß Trends einzuschätzen, das Original von der Kopie zu erkennen und erkundet an Ort und Stelle, wenn in Venedig, Madrid, Wien oder München private Mäzene mit ihren Sammlungen den öffentlichen Raum neu gestalten und Einfluss nehmen.

Wenn es um Regensburg und die Stadtentwicklung geht, ist Reiner R. Schmidt seit Jahrzehnten ein entschiedener Verfechter von Werten. Fuchsteufelswild kann er werden, wenn einfallslose wie einflussreiche Bürger und Investoren glauben, sich zur Lebenskrönung ein Denkmal setzen zu müssen. Wenn dann in die Regensburger Uni, die er in der Aufbauphase besuchte als man sich noch was traute und der Begriff Reform noch nicht diskreditiert war, ein geldpralles Institut für Immobilienwissenschaft implantiert wird und im Gegenzug die Geografie rausfliegt, ist seine Toleranzgrenze überschritten.

Schon immer reizte Reiner R. Schmidt das Widerständige, der Befreiungswille, das Kritikpotential in der Gesamtheit der Kulturäußerungen. Engstirnigkeit, die Verengung auf eine Disziplin, ist ihm ein Gräuel. Folgerichtig gründete er im Herbst 1987 mit einer Handvoll Mitstreiter den Neuen Kunstverein Regensburg. Einen gemeinnützig anerkannten Verein, der sich "als öffentliches Forum zur Vermittlung aktueller Kunst- und Kulturentwicklung versteht.“

Seine persönliche Passion machte Reiner R. Schmidt zum Broterwerb. Seit vielen Jahren arbeitet er als Kulturreferent in Burglengenfeld. Sein Wirken bescherte der oberpfälzischen Kleinstadt überraschende kulturelle Akzente.

"Wir sind keine gesellschaftliche Kampfmaschine"

Was gab 1987 den Anlass zur Gründung des Neuen Kunstvereins Regensburg?

Reiner R. Schmidt: Nach meinem Studium arbeitete ich zwei Jahre in der Ostdeutschen Galerie, wie sich das Museum damals noch nannte. Die Arbeit mit Künstlern gefiel mir und es entwickelte sich ein reger Kontakt zu jungen Künstlern, die nach Ausstellungsmöglichkeiten suchten. Diese waren und sind bis heute in Regensburg unvorstellbar knapp. Deshalb hatten wir die großzügigen Ausstellungsflächen im Kunst- und Gewerbeverein in der Ludwigstraße zielsicher ins Auge gefasst. Wir glaubten, dass die Räume zu mieten waren, wenn diese nicht mit eigenen Ausstellungen bestückt waren. Das war ein fundamentaler Irrtum und wir liefen auf. Unsere Hoffnung auf Unterstützung durch die Stadt erfüllte sich ebenfalls nicht. In mühsamen Einzelaktivitäten schafften wir Lösungen von Fall zu Fall. Mal im Leeren Beutel, mal im Salzstadel.

Der Neue Kunstverein Regensburg ist mit einem weitgefassten Kulturbegriff angetreten: Kunst soll nicht als das Schaffen Einiger für eine elitäre Minderheit verstanden werden, sondern soll das Regensburger Kulturleben bereichern. Konnte dieser Anspruch verwirklicht werden?

Reiner R. Schmidt: Insgesamt präsentierten wir in den letzten zwanzig Jahren über fünfzig Ausstellungen. In der Anfangszeit mussten wir uns jeden Ausstellungsraum für ein paar Wochen erobern. Es waren teils Aufsehen erregende Ausstellungen, die nicht gebührend wahrgenommen wurden. Aus dieser Not heraus entwickelte sich die Idee, die heute noch Bestandteil unseres Konzeptes ist: Künstler aus anderen Städten in Regensburg vorzustellen und im Gegenzug unsere Leute außerhalb zu platzieren. Wir knüpften systematisch Kontakte zu Kunstvereinen in ganz Deutschland und thematisierten Grenzbereiche.

So haben wir zum Beispiel als Kunst im öffentlichen Raum mit der jungen Petra Fuß Betonplastiken vor der Westfassade des Doms aufgestellt und präsentiert. Das wäre heute überhaupt nicht mehr möglich, da würde der ganz kirchliche Apparat Amok laufen, obwohl das Gelände städtisch und staatlich ist.

Mit der Ausstellung "Messerschmitt Werke - Bilder vom Aufbau eines Rüstungsbetriebes 1936/37" thematisierten wir die Fotografie, die gerade erst in der Kunst hoffähig wurde. Dem in Bildern dokumentierten Aufbau der Messerschmittwerke stellten wir Fotos aus den achtziger Jahren gegenüber.

Heute sind wir fast ein klassischer Kunstverein und stehen in der Tradition der deutschen Kunstvereine schlechthin. Im Unterschied zum Kunst- und Gewerbeverein, der ziemlich auf Regensburg abonniert ist, pflegen wir Kontakte zu vielen Gruppierungen in anderen Regionen; das war und ist unser Markenzeichen.

Reden wir über den Kunstmarkt und seine Gesetzlichkeiten, über Anpassungsdruck an Gesellschaft und Kirche und über die Metapher Kunst und Profit.

Reiner R. Schmidt: Kunst ist grundsätzlich eine gesellschaftliche Aufgabe und Kunst ist immer gesellschaftspolitisch. Mal ist es unterschwellig, mal plakativ, aggressiv oder sensibel. Kunst ist allein mit ihrer Existenz immer in irgendeiner Weise ein Teil, ein ganz spezieller Teil unserer Gesellschaft. Und genau das mochte ich unterstützen: die Vielfalt einer Kunst.

Natürlich hat die Kirche in Regensburg eine starke Stellung und nimmt massiv Einfluss auf die Kunstszene der Stadt. Immer wieder führt dies zu Konflikten. Die Kirche scheut sich nicht, sich in Ausstellungen und deren Inhalte einzumischen oder gegen einzelne Künstler vorzugehen.

Welche Bedeutung hat die Kunstvermittlung? Wie lernen Menschen, Kunst zu verstehen?

Reiner R. Schmidt: Es ist ein individueller Lernprozess. Diese Erfahrung machte ich im Rahmen von Volkshochschulkursen, in denen ältere Zuhörer ihre erste Begegnung mit zeitgenössischer Kunst erlebten.

1m Rahmen dieser Kurse fuhren wir zu Sonderausstellungen nach München oder in die Stuttgarter Staatsgalerie, die gerade eröffnet worden war. Zeitgenössische Kunst. Zwischen Joseph Beuys und Andy Warhol sollte ich nun erklären, was Kunst ist.

Dabei ging ich nach folgendem Konzept vor: „Also das können Sie uns jetzt nicht erzählen, dass das auch Kunst sein soll.“ Darauf sagte ich: Wissen Sie, ich wünsche mir von Ihnen, das wir gemeinsam durch die Ausstellungen gehen und schauen. Wenn Sie Fragen haben, besprechen wir das. Aber bilden sie sich nicht vorher ein Urteil, sondern schauen sie, sammeln sie Eindrücke und lassen Sie diese auf sich wirken. Wenn Sie danach der Meinung sind, dass Sie kein Kunstwerk gesehen haben, dann akzeptiere ich das. Aber beginnen Sie eine Auseinandersetzung nicht mit Vorurteilen. Wenn Kunst einen Wert hat, dann kann auch das Exponat, das man nicht versteht, toleriert werden.

Hat diese Kunsterziehung funktioniert?

Ja, doch! Diese Leute waren ja meist sehr gebildet. Es entwickelten sich interessante Gespräche. Ich habe immer wieder versucht, die Auseinandersetzung mit moderner Kunst auf einen Nenner zu bringen: aus Toleranz gegenüber Beuys kann die Toleranz gegenüber dem Fremden im Alltag wachsen.

Nun ist Regensburg nicht gerade der Treffpunkt für praktizierte Toleranz?

Darum ist es ja wichtig, sich grundsätzlich mit Kunst zu beschäftigen. Auch wenn ich persönlich etwas nicht schätze, verstehe oder verstehen will, so kann ich trotzdem ein Kunstwerk tolerieren. Ich kann ihm mit dem gleichen Respekt gegenüberstehen, wie dem Kunstwerk, das ich persönlich für gut halte. Wenn das funktioniert, haben wir ganze Bausteine von gesellschaftlichen Problemen aufgegriffen.

Welche Rolle spielt der Kunstverein?

Was kann ein Kunstverein mit achtzig Leuten in einer Gesellschaft ausrichten, die von ganz anderen Faktoren bestimmt wird? Wir haben keinen, der im Rotary-Club ist, wir haben keinen im Lions-Club, im Stadtrat und keinen, der in einer Partei eine wichtige Rolle spielt und keinen in einem Wirtschafts- oder Arbeitgeberverband. Dieser Kunstverein ist keine gesellschaftliche Kampfmaschine. Er kann versuchen, eine Insel zu sein, auf der Künstler die Möglichkeit erhalten, ihr Schaffen zu präsentieren und sich mit Kunst auseinander zu setzen. Und ich finde, das ist schon mal was.

Text: Waltraud Bierwirth | Fotografie: Rose Heuberger

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